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4. Massenmedien und politische Kommunikation4.2. Funktionen der MedienAus Meinungsfreiheit resultiert Meinungsvielfalt. Um dabei Mehrheiten im demokratischen Prozess zu gewinnen, bedarf es der Verbreitung von Meinungen und der Überzeugung Andersdenkender. Diese Aufgabe wird über Kommunikation gelöst, professionell über die Massenmedien. „Als Hauptquelle gesellschaftlicher Informationen und damit wichtiger Faktor der Meinungsbildung kommt den Massenmedien als ein Steuerungsinstrument komplexer Gesellschaften empirisch wie normativ große Bedeutung zu.“15 Weil die Massenmedien das Potential besitzen, zumindest theoretisch alle Gesellschaftsmitglieder zu erreichen, haben sie auch für das politische System strategische Bedeutung. Für die Parteien bedeutet dies im Wettstreit um die politische Macht, ihre Positionen über die Medien herauszuarbeiten, um dann bestenfalls die Regierung zu stellen und ihre Programme umzusetzen, wobei sie im Vorfeld ihre Funktionen als „Transmissionsriemen“, der „Auswahl des Führungspersonals“ und der „Gruppenintegration“ erfüllt haben.16 Medien sollen informieren, artikulieren sowie kritisieren und kontrollieren. Neben ihrer verfassungsrechtlichen Stellung in Deutschland haben Medien darüber hinausgehende Funktionen, die zwar nicht gesetzlich verankert sind, aber aus der Rechtsstellung und dem politischen System heraus allgemein angenommen werden. Aus Perspektive der Systemtheorie erbringen die Medien Leistungen für die Gesellschaft, aus Perspektive der Politikwissenschaft sind es normativ zugewiesene Funktionen oder Aufgaben welche sie erfüllen sollen.17 Als „ursprünglichste Funktion der Massenmedien“18 erkennen Wildenmann und Kaltefleiter die Informationsfunktion der Medien an. Die Medien sind es, die den Einzelnen, die Interessengruppen, ja die gesamte Gesellschaft über deren Einzelerfahrungen heraus mit weitergehenden Informationen versorgen. Weil sich der Einzelne auch über die Informationen der Medien sein Bild der Welt erfindet, leiten sich an die Medien Forderungen nach Vollständigkeit, Objektivität und Verständlichkeit ab. Aber bereits bei der Definition der Funktion der Massenmedien im politischen System registrieren Wildenmann und Kaltenfleiter Probleme, die den Funktionen widersprechen: Beide Wissenschaftler stellen Anfang der sechziger Jahre fest, dass „Hund beißt Mann“ weniger berichtenswert sei als „Mann beißt Hund“. Außergewöhnliches scheint die Medien stärker zu interessieren als das Gewöhnliche. Das Fernsehen habe dabei am deutlichsten die Tendenz zur Unterhaltungssendung anstelle von politischer Information. „Das Zweite Deutsche Fernsehen z.B. hat für 1965 die politischen Sendungen auf drei Wochenstunden gekürzt, um mehr Zeit für Unterhaltungssendungen zu gewinnen, was wegen der Konkurrenz-Situation auch beim Ersten Programm zu einer ähnlichen Entwicklung geführt hat.“19 Wildenmann und Kaltenfleiter prägen fortan die Sichtweise der Politikwissenschaft. Objektivität der Berichterstattung sei das oberste Gebot, wobei es der Journalist aufgrund der Vielzahl der Informationen und der Zeitproblematik schwer habe, jede Information auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. „Ferner lässt allein die Beobachtung und Darstellung eines Ereignisses durch einen Menschen - auch bei den besten Absichten des Berichterstatters – ein subjektives Element in die Information eingehen.“20 Die klassische Politikwissenschaft unterstellt dennoch mit ihrer Funktionsdefinition – Artikulations-, Informations-, Kritik- und Kontrollfunktion -, dass Medien objektiv berichten, sie also ein reales Abbild der Welt schaffen. Zwar spricht die Politikwissenschaft einer einzelnen Zeitung nie Objektivität zu, konstatiert jedoch, dass aufgrund der Zeitungsvielfalt der Bürger der Wahrheit nahe kommen könne. „Diese Freiheit, mehr noch die Pluralität der Presseorgane dient zugleich der Rationalität und Wahrheitsorientierung des Meinungsbildungsprozesses.“21 Klassische Politikwissenschaft und Journalismus unterstützen diese Sichtweise. Entsprechend ihrer Wertvorstellungen beanspruchen Journalisten, ein Abbild der Realität zu zeichnen. „Das Gegenstück zur Recherche ist die Hofberichterstattung“, heißt es etwa im „ABC des Journalismus“.22 Als Hauptmerkmale der publizistischen Verantwortung werden festgehalten: Bedeutung (analog der Selektionskriterien der Medien), die Verstehbarkeit (umfangreiche Informationen) und Gültigkeit (die Information soll ‚wahr’ sein).23 Das Geschehen muss rekonstruierbar sein24 So, wie das Postulat der „objektiven Berichterstattung“ in Staatsverträgen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk verankert ist, so ist es auch im eigenen Rollenverständnis der Journalisten zu finden. So legt etwa der Presserat, als Selbstorganisation der Medien zur Wahrung der Pressefreiheit und des Ansehens der deutschen Presse gegründet, in seinem Pressekodex Regeln fest, die jeder Journalist und jeder Verleger einhalten muss. Bei Missachtung erfolgt im Extrem eine öffentliche Rüge, die in jenem Organ, in dem die Regelverstöße begangenen wurden, publiziert werden muss. Ziffer 1 etwa lautet gemäß einem Wahrheitspostulat: „Achtung vor der Wahrheit und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“25 Gleichzeitig werden auch ethische Grenzen gesetzt, die die Verantwortung der Presse und ihre Macht gegenüber anderen Gruppen verdeutlichen. So heißt es in Ziffer 10: „Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das stilistische oder religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, sind mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren.“26 Und weiter in Ziffer 11: „Die Presse verzichtet auf eine unangemessene sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität. Der Schutz der Jugend ist in der Berichterstattung zu berücksichtigen.“27 Ebenso sieht dies die journalistische Sorgfaltspflicht vor, die in den jeweiligen Landespressegesetzen festgelegt ist: „Die Presse hat alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen.“28 Vom Journalisten erwartet man, dass er sich um eine wahrheitsgemäße Berichterstattung bemüht.29 La Roche trennt allerdings zwischen innerer und äußerer Objektivität und erkennt an, dass je nach Weltanschauung jeder Journalist eine eigene, „innere Objektivität“ besitzt, ganz gleich, wie intensiv vorher die „äußere Objektivität“ recherchiert wurde. „Dass diese innere, letzte, absolute Objektivität vom Menschen nicht zu verwirklichen ist, heißt aber nicht, sie als anzustrebendes Ziel aufzugeben.“30 Das Objektivitätspostulat, die besondere Verantwortung der Medien und der Ruf nach ihrer Unabhängigkeit resultiert auch daraus, dass Medien oft als „vierte Gewalt“ neben Legislative, Exekutive und Judikative genannt werden. „Diese Unabhängigkeit kann als Teil einer ‚gesellschaftlichen Gewaltenteilung’ angesehen werden.“31 Der „Verfassungsrang“ sorgt aber in der Politikwissenschaft für Streit. Zwar sei es unstrittig, dass Medien eine Informationsfunktion hätten, dagegen fehle es an demokratischer Legitimation, eine Kritik- und Kontrollfunktion wahrzunehmen. Deshalb sollten sich die Medien auf die Moderation beschränken.32 Allerdings sehen sich Journalisten selbst in einem anderen Licht. Ende der 70er Jahre ermittelte die Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung die „Grundstrukturen eines journalistischen Selbstbildes“33 unter deutschen Journalisten. Danach sehen sich Journalisten als Kritiker und Kontrolleur politischer und gesellschaftlicher Prozesse, der kulturelle und gesellschaftliche Normen und Werte hütet und als Erzieher zu einer gemeinsamen öffentlichen Moral gilt, der sich als Anwalt der gesellschaftlich unterprivilegierten und der nicht oder nur ungenügend artikulationsfähigen Gruppen versteht. Rudzio sagt dazu: „Dieses journalistische Rollenverständnis auch als eines aktiv-kritischen Akteurs [...] kann als eine Schwachstelle unserer politischen Kultur gelten.“34 Bei dieser Sichtweise wird unterstellt, dass Medien direkten Einfluss auf die Geschehnisse innerhalb ihres Wahrnehmungsfeldes haben. Wenn Medien nicht ausschließlich über das berichten, was in der Welt passiert, sondern sie sogar aktiv beeinflussen, dann bestimmen sie letztlich das, worüber sie berichten. Daraus wäre zu schließen, das Medien über eine Machtfülle verfügen, die in einer Demokratie zweifelsohne der Legitimation bedürfte. Politikwissenschaftler wie Kevenhörster sehen in der potentiellen Machtfülle der Medien weniger ein Problem, vielmehr in der Tatsache, dass immer weniger Medienbesitzer immer mehr Medien kontrollieren: „Der Medienbereich wird durch diesen Konzentrationsprozess mehr und mehr vermachtet: eine offenkundige anhaltende Gefährdung der Kritik- und Kontrollfunktion der Massenmedien.“35 Eine Erkenntnis, die auch Wildenmann und Kaltefleiter 1964 angemahnt hatten.36 Es scheint, als seien die Probleme, die in der Politikwissenschaft in bezug auf die Medien feststellt seit langer Zeit dieselben. Aus soziologischer Perspektive erfüllen Medien für die Gesellschaft folgende Funktionen: Sozialisationsfunktion über Normen- und Wertevermittlung, Funktion der sozialen Orientierung (Vermittlung von Umweltkenntnissen), Gratifikationsfunktion als Beitrag zur Entlastung und Zerstreuung der Gesellschaftsmitglieder37.
McQuail definiert die Bedürfnisse des Einzelnen gegenüber den Massenmedien als das Bedürfnis nach Information, persönlicher Identität, Integration und sozialer Interaktion sowie nach Unterhaltung.38 Die Unterhaltungsfunktion darf dabei nicht falschverstanden werden als literarische oder bunt-schillernde Themenauswahl. Unterhaltend zu sein bedeutet vielmehr, dass den Themen ihre Komplexität genommen wird. Dies kann über eine Personalisierung oder auch Dramatisierung geschehen. In der Boulevard-Presse, die Themen auch sprachlich oft reduziert, wird ein solcher Schreibstil auch gern mit dem Begriff der „Alarmdeutsch“39 umschrieben. Es zeigt sich hier bereits, dass sich die politischen Funktionen der Medien deutlich von den gesellschaftlichen unterscheiden, wodurch zwangsläufig ein Spannungsfeld entsteht. In der Kommunikationswissenschaft haben empirische Untersuchungen ein differenziertes, multifunktionales Funktionsraster von Medien direkt beim Leser gezeigt. Weischenberg etwa berichtet von US-amerikanischen Studien, die „einen schwer kalkulierbaren Umgang der Menschen mit den Medien“ zeigen.40 Diese Art der Umschreibung ist sozio-psychologisch und weniger verfassungsrechtlich begründet. Im Ergebnis dieser Untersuchungen wünschen sich die Menschen von Zeitungen: Entspannung und Flucht vor persönlichen Sorgen; Gewinn von Sozialprestige bei einer Unterhaltung mit anderen; gesellschaftlichen Kontakt; Sicherheit und Hilfe bei Schwierigkeiten in der modernen Gesellschaft; Beschäftigung, von einzelnen Artikeln ganz unabhängiges Lesevergnügen; Ritual, Befriedigung einer fast zwanghaften Angewohnheit.41
Bislang ist es nicht gelungen, dieses Dilemma aufzuheben. Dies wäre am einfachsten, wenn die Funktionen der Medien überdacht würden und eventuell eine Reformulierung in der Politikwissenschaft stattfände. Weiterhin aber gilt, dass Medien einem öffentlichen Raum gleichkommen, der zur Darstellung von Meinung und zur Organisation von Willensbildungsprozessen anerkannt wird, dies aber entsprechend objektiv und wahrhaftig zu erfolgen soll. Diese Außensicht muss aber neu überdacht werden. In Bezug auf die Binnenstruktur des politischen Systems erfüllen die Medien nach Bellers und Stankovic weitere Funktionen: Ressourcenfunktion, Innovationsfunktion und eine operative Funktion.42 Als Ressourcenfunktion wird dabei die Informationsgewinnung via Medien betrachtet. Als Innovationsfunktion gilt der Sachverhalt, dass Politiker über die Medien mit anderen Positionen konfrontiert werden, die ihre Meinung erweitern, beeinflussen etc. Die operative Funktion stellt den direkten Nutzen für die Politiker dar. So nutzen sie die Medien als Kommunikationsweg, um ihre Wiederwahlchance zu erhöhen. Diese Funktionen sind durchaus vorhanden, da Politik in diesem Fall Medien in ihrer Art akzeptieren und deren Inhalte für sich nutzbar machen. Für die normativ festgelegten Grundfunktionen der Medien aus Sicht der klassischen Politikwissenschaft gilt das allerdings nicht – obwohl sie in der politischen Praxis uneingeschränkt von etlichen Politikern übernommen werden. Politiker stützen sich auf diese Funktionen, um dann in ihrer täglichen Arbeit mehrheitlich die Medien und deren Berichterstattung entsprechend zu loben und zu kritisieren. |